Es bedarf einer gezielten Planung, um einen Überhang an Ärzten und eine Verschwendung von öffentlichen Geldern zu vermeiden. Hier scheint eines der Probleme im spanischen Gesundheitssystem zu liegen. Man weiß nicht, wie viele praktizierende Ärzte es gibt, noch wo sie arbeiten und ohne belastbare Daten ist eine Planung schwierig bis unmöglich. Dies ist sicherlich ein Grund für die hohe Arbeitslosigkeit im spanischen Gesundheitswesen. Schon zu Beginn der 90er Jahre gab es eine Zeit der Erwerbslosigkeit von Ärzten. Man führte einen Numerus Clausus ein, um die Anzahl an Studenten zu reduzieren. Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etablierte Formel lautet: pro 10.000 Einwohner ein Medizinstudent. Im Jahr 2002 gab es 4.250 Studenten an 27 medizinischen Fakultäten, von denen sich eine in privater Trägerschaft befand. Ab 2002, in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwunges stieg die Bevölkerung in Spanien sprunghaft an. Die Einwanderung zog den Neubau von Krankenhäusern und Gesundheitszentren nach sich.
Der Bedarf an Ärzten und medizinischem Personal stieg an. Jedoch versäumte es das spanische Gesundheitsministerium, sich an die Berechnungen der WHO zu halten. Der unkontrollierte Neubau von Krankenhäusern, Gesundheitseinrichtungen und die Einweihung von medizinischen Fakultäten war die Folge. In Wirklichkeit, so die Professorin für Volkswirtschaft an der Universität von Las Palmas, Beatriz González López-Valcárcel, gab es nur in bestimmten Fachrichtungen und in bestimmten Regionen einen Mangel an Spezialisten: „Es ist ohnehin unmöglich festzustellen, ob es einen Mangel oder Überschuss an Ärzten gibt, da belastbare Daten fehlen.“ Ohne nachweisbaren Bedarf öffneten in den spanischen Regionen, den Comunidades Autónomas, neue Krankenhäuser. Allein in der Region Madrid waren es im Jahr 2008 sechs neue Krankenhäuser. Sicherlich, so Gonzáles, stieg die Nachfrage nach Ärzten zu einem bestimmten Zeitpunkt an bestimmten Orten an. Jedoch stand dieser Anstieg in keinem Verhältnis zum eigentlichen Bedarf.
Neben dem Neubau von Gesundheitseinrichtungen fand „eine massive Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen“ und die Bereitstellung von neuen Studienplätzen statt. Und hiervon eine Reihe an privaten Universitäten, deren Aufnahmekriterien nicht transparent seien, so die Professorin für Volkswirtschaftslehre. Sie bemerkt, dass „es eine ungleiche Verteilung der Studenten gibt. Während an den öffentlichen Universitäten nur die besten einen Studienplatz erhalten, erhält man an den privaten Universitäten einen Studienplatz, wenn die Eltern bezahlen.“
In der Zeit des unkontrollierten Neubaus von Gesundheitseinrichtungen, stieg auch die Zahl an Ausbildungsplätzen zum Facharzt an. Ein regelrechter Boom im Gesundheitswesen war die Folge: zwischen den Jahren 2001 und 2011 wurden 50.205 ausländische Arzttitel in Spanien anerkannt und damit mehr Titel als in der selben Zeit in Spanien an Ärzten ausgebildet wurden. Laut Angaben des spanischen Berufsverbandes für Ärzte wurden im selben Zeitraum 46.194 Ärztinnen und Ärzte ausgebildet. Niemand schien sich mehr an die Erwerbslosigkeit von Ärzten in den 90er Jahren zu erinnern. Denn zu Beginn des Jahres 2000 bedeutete ein Medizinstudium ein Versprechen auf Arbeit und Wohlstand. Die Stadt- und Landesverwaltungen genehmigten den Neubau von medizinischen Fakultäten. Allein in den Jahren bis 2010 erhöhte sich die Studentenzahl auf mehr als 40%.
Sparmaßnahmen treffen Fachärzte
Die Sparmaßnahmen treffen in besonderer Weise die Anwärter auf eine Facharztstelle. Die Vermehrung der Studentenzahlen traf im Jahr 2007 auf die spanische Wirtschaftskrise, die zu Sparmaßnahmen ab dem Jahr 2010 geführt haben: „Und zuerst wird dort gespart, wo es am Einfachsten ist, nämlich am Personal: das bedeutet für das neueingestellte Personal Vertretungen und befristete Arbeitsverträge…“ bemerkt Gonzáles.
Zum letzten Staatsexamen gab es noch genügend Plätze für alle Anwärter auf einen Studienplatz zum Facharzt. Jedoch wird es in drei oder vier Jahren zu einem „Anpassungsprozess“ kommen müssen. „Wir können uns nicht schon wieder einen Überschuss an Ärzten leisten“, sagt Francisco Miralles von der spanischen Ärztegewerkschaft CESM. „Man muss von den ausgebildeten Ärzten profitieren, denn dieses Land kann es sich nicht erlauben, erwerbslose Ärzte zu produzieren, die das Land pro Kopf zwischen 200.000 und 250.000 EUR gekosten haben“, fügt er hinzu.
Und darüber hinaus fragen sich die Experten fragen, ob nicht die Qualität des Studiums durch die Sparmaßnahmen an der falschen Stelle berührt wird: „Die wissenschaftlichen Bildungsgesellschaften sind besorgt, dass die mangelnde Regulierung des Studiums zu einem Verlust von Ausbilungstandards geführt hat“, bemerkt Carlos Macaya, Präsident des spanischen Ärztebundes FACME. „Es ist schwierig, die Qualität zu messen, jedoch ist es offensichtlich, dass es sowohl für die Ärzte aus der EU als auch aus Südamerika zunehmend einfacher wird, die ersten 2.000 bis 3.000 Stellen zu besetzen.
Dies ist ein indirekter Hinweis darauf, dass die Qualitätskriterien sinken und mit ihr die Qualität der ausgebildeten Ärzte“. Es wird an der Auslese gespart und damit an der Qualität, so Carlos Macaya.
Ein anderes Problem hängt mit der Kapazität der medizinischen Fakultäten zusammen. Die Zahl der Krankenhausbetten und mit ihnen die Anzahl der Patienten, mit deren Unterstützung man den Beruf des Arztes erlernen kann, sind begrenzt: „Es ist notwendig, dass medizinische Fakultäten nur mit exzellenten Krankenhäusern zusammenarbeiten.
Die Tatsache, dass ein Krankenhaus zugelassen ist, muss noch lange nicht heißen, dass es den Qualitätsmaßstäben entspricht. Nicht alle Krankenhäuser sind geeignet, den zukünftigen Ärzten Medizin zu lehren“, führt Ricardo Rigual aus. Er ist Präsident der ständigen Konferenz aller Dekane der medizinischen Fakultäten in Spanien. Der Anstieg an Universitätsplätzen fand zeitgleich mit dem Neubau von Krankenhäusern statt. Im Jahr 2008 wurden in Madrid sechs neue Krankenhäuser gebaut und im selben Jahr vier neue Fakultäten eröffnet.
Arztstudium kostet mehr als 200.000 EUR
„Es scheint so zu sein, dass wir an die Kapazitätsgrenzen angekommen sind. Wie viele Studenten können an einer ärztlichen Visite teilnehmen, wie viele können einer gynäkologischen Untersuchung beisitzen und wie viele können in den OP?“, fragt Antonio F. Compaño, Dekan der medizinischen Fakultät Miguel Hernández aus Elche. In einem Artikel in der spanischen Ärztezeitschrift beschreibt er die wundersamen Vermehrung von Studienplätzen, beispielsweise in den öffentlichen Krankenhäusern, wo Studenten aus öffentlichen und privaten Universitäten zusammen lernen:
„Unter diesen Bedingungen verliert das Studium an Qualität. Wenn man auf vier Plätze fünf Studenten setzt, dann kann man den Studenten nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit schenken, die notwendig ist“, führt Rodríguez Sendín aus.
„Uns besorgt die Vermehrung von sowohl staatlichen als auch privaten Krankenhäusern. Sind diese Krankenhäuser erst einmal gebaut, kommt es darüber hinaus zu Vereinbarung für neue Fakultäten. Es entsteht ein Teufelskreis“, so Macaya. Und die neugegründeten Fakultäten unterliegen keiner ausreichenden Kontrolle. „Zurzeit existiert keine Behörde, die in umfassender Weise überprüft, ob ein Krankenhaus das Kriterium ‚Universitätsklinik‘ erfüllt“, bemerkt Rigual. „In Madrid nennen sich derzeit fast alle Krankenhäuser ‚Universitätsklinik‘. Es ist ein ungeschützter Begriff. Auch weiß niemand so genau, nach welchen Kriterien die Professoren ausgewählt werden“, fügt Macaya hinzu und fordert: „Man benötigt für das Studium der Medizin die gleichen Standards wie für das Studium zum Facharzt MIR, dessen Qualität durch eine unabhängige Behörde akkreditiert ist.“
Dieser Prozess müsse gestoppt werden, um die Anzahl an Studenten zu verringern und gleichzeitig die Qualität des Studiums zu erhöhen. Einen Anfang hierzu könnte die spanische Agentur für die Akkreditierung von Bildungseinrichtungen leisten. Die
„Agencia Nacional de Evaluación de la Calidad y la Acreditación (ANECA)“ steht in enger Verbindung zum Ministerium. Denn der Minister für Bildung ist gleichzeitig Vorsitzender der ANECA. Zurzeit hält diesen Sitz José Ignacio Wert inne. Die Zuständigkeit für die Eröffnung einer medizinischen Fakultät liegt allerdings bei den Regionalverwaltungen für Bildungen und bei den Gesundheitsverwaltungen, die für den Bau von in Verbindung mit den lokalen Krankenhausbetreibern stehen. Das heißt, dass die Neueröffnung von medizinischen Fakultäten nicht in direkter Zuständigkeit des Ministeriums liegt. „Aber in übergeordneter Weise schon. Das Ministerium könnte mit einer Gesetzesänderung die direkte Zuständigkeit übernehmen“, unterstreicht Rodríguez Sendín. Das Gesundheitsministerium versichert seinerseits, dass es ausschließlich für die Ausbildung zum Facharzt MIR zuständig ist und „entsprechend des Bedarfs an Fachärzten Entscheidungen trifft“, so der Pressesprecher des Gesundheitsministeriums.
Es liegt daher am Ministerium für Bildung, um für eine Veränderung zu sorgen. In Zusammenarbeit mit den Regional- und Gesundheitsverwaltungen müsse man den Neubau von Krankenhäusern und Fakultäten stoppen und die Zuständigkeiten reformieren, um einen notwendigen Systemwechsel einzuleiten. Dieses Vorhaben dürfte aber eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Man weiß, dass die Pfadabhängigkeit von großen Verwaltungen groß ist und Veränderungen nicht in einem Jahr zu schaffen sind. Entscheidend wird sein, wie es gelingen wird, eine öffentliche Diskussion darüber in Gang zu setzen. Mittlerweile bedienen sich Vermittlungsagenturen des Überhangs an Ärzten und Fachärzten. Die Ärztevermittlung von TTA greift auf spanische Ärzte zurück, die sich eine stabile Karriere in Deutschland, Österreich und der Schweiz wünschen.
Studentenzahl gefährdet die Qualität des Studiums
Nach der Neueröffnung einer Fakultät gibt es sowohl politische als auch wirtschaftliche Erwägungen. Das, was man gebaut hat, muss sich auch rechnen. Eine Universität verdient an einem Studenten zwischen 10.000 bis 20.000 EUR pro Studienjahr. „Wenn wir das Land mit den meisten medizinischen Fakultäten nach Südkorea sind, dann liegt das sicherlich auch daran, dass hinter jeder Fakultät finanzielle Interessen stehen.
Ein Medizinstudium zieht ein zahlungsfähiges Publikum an“, sagt Rodríguez Sendín. Die Vermehrung von Fakultäten hat zu einer Debatte in den spanischen Regionen geführt, vor allem in den Krankenhäusern, die mit den anwachsenden Studentenzahlen umgehen müssen. José Carrillo, Rektor der Universität Complutense, hat sich darüber beschwert, dass öffentliche Krankenhäuser weniger Geld von privaten als von öffentlichen Fakultäten für die Ausbildung der Medizinstudenten erhalten.
Es gibt zurzeit weitere sieben Anträge auf Neubau von medizinischen Fakultäten: für Campus Mare Nostrum in Murcia und für die katholische Universität San Antonio in Alicante, beide in privater Trägerschaft sowie für eine bereits zugelassene Fakultät in Vic/Barcelona. Darüber hinaus haben vier öffentliche Universitäten Anträge gestellt: drei in Andalusien (Almería, Jaén und Huelva) und eine weitere auf den Balearischen Inseln. Einige von ihnen haben bereits die Zulassung ihres Curriculums durch die Akkreditierungsbehörde ANECA erhalten; andere verfügen bereits über die Baugenehmigung durch die Bauverwaltungen für die Jahre 2015 und 2016. Jedoch ist niemand in der Lage, die Notwendigkeit des Neubaus dieser Fakultäten zu begründen.
Lediglich der Präsident der Balearischen Universität, Félix Grase, gibt als Begründung an, dass die Region die einzige ohne Medizinstudium sei und seit mehr als 15 Jahre auf die Zulassung warte. Er gab allerdings an, dass er den Studiengang erst ab dem dritten Studienjahr anbieten möchte, um „den Markt nicht mit zu vielen Ärzten zu sättigen.“ Die Ärzte und Fachärzte ohne Beschäftigung wandern derzeit in das europäische Ausland ab. In Deutschland, Österreich und der Schweiz werden sie mit offenen Armen empfangen.