Angesichts des drohenden Pflegenotstands und der schwieriger werdenden beruflichen Situation von Pflegekräften haben zukünftig nur noch die Einrichtungen eine Chance, die in der Lage sind, Pflegepersonal durch gezielte Maßnahmen langfristig zu halten und darüber hinaus neues Pflegepersonal zu rekrutieren.
Die Studienergebnisse über die Berufszufriedenheit von Pflegekräften zeigen, dass wesentliche Bindungsfaktoren die Atmosphäre im Team und der Kontakt zu Patienten und deren Angehörigen sind. Es müssen ein Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen gefunden und Strategien zur Deeskalation im Patientenkontakt erarbeitet werden. Vor allem dann, wenn die Patienten psychische Störungen aufweisen. Ein noch unterschätztes Phänomen, das sich durch die zunehmende Erhöhung des Patientenalters verschärfen wird. Außerdem gehören zu den Herausforderungen der Zukunft, der Umgang mit interkulturellen Themen. Mehr als 20% aller Deutschen haben einen Migrationshintergrund. Neben der Steigerung der Berufszufriedenheit ist ein weiterer Baustein in der langfristigen Sicherung von Pflege die Rekrutierung von ausländischen Pflegepersonal. Zum einen ist dies ein effektives Instrument bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels. Zum anderen erhält die Klinik interkulturelle Kompetenz zum Nulltarif.
Spanische Pflegekräfte nach Deutschland
In genau umgekehrter Weise stellt sich die Situation auf dem spanischen Pflegemarkt dar. Jahre der Verschwendung und des übermäßigen Ausbaus von Krankenhäusern und medizinischen Fakultäten haben zu einer Situation geführt, in der mehr Ärzte und Pflegekräfte ausgebildet wurden als der Markt benötigte. Neben dem Überangebot an Fachkräften leidet das spanischen Gesundheitssystem an Sparmaßnahmen, die zu Entlassungen des Pflegepersonals und einem Einstellungsstopp von Ärzten und Pflegern geführt haben.
Ausgangspunkt ist die Finanz- und Arbeitsmarktkrise aus dem Jahr 2008. Spanien gerät mitsamt dem Bankensektor unter dem Druck der internationalen Finanzmärkte. Das Modell zur Rekapitalisierung der spanischen Banken sieht eine drastische Ausgabenkürzung im öffentlichen Bereich bei gleichzeitiger Flexibilisierung des Arbeitsmarktes vor. Die Ursachen der Finanz- und Arbeitsmarktkrise sollen überwunden und die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden. Dies gilt im Besonderen für den kostenintensiven Gesundheitsbereich. Seit dieser Zeit stehen 20.000 Pflegekräfte und 5.000 Ärzte dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Da zwar an der Gesundheitsversorgung gespart jedoch nicht die Anzahl an Studienplätzen verringert wurde, rücken jedes Jahr neue Fachkräfte nach.
Rekrutierung von Pflegekräften aus Spanien
In den Jahren 2001-2007, in denen übermäßig viel ausländisches Kapital nach Spanien fließt, entsteht der Bauboom, der durch die Bereitstellung neuen Baulandes zu Zuwachsraten in der Bauwirtschaft von über 10% und zu einem Anstieg der Immobilienpreise von nahezu 12% führt.
In der Zeit der so genannten El-Dorado-Dekade wächst die Bevölkerung Spaniens um über 4 Mio. auf 46 Mio. Menschen an. Spanien ist damit der Staat in der EU, der am stärksten wächst. Neben Immobilieninvestoren und nordeuropäischen Pensionären sind es Menschen aus Südamerika, Afrika und Osteuropa, die nach Spanien auswandern.
Viele Neuzuwanderer finden eine Beschäftigung in der Bauwirtschaft, in der bis 2007 überdurchschnittliche Löhne gezahlt werden. Das Gehaltsniveau übt auch einen Sog auf andere Berufsgruppen innerhalb Spanien aus. Als der Immobilenboom im Jahr 2007 sein jähes Ende erfährt, werden neben den Facharbeitern auf dem Bau die überhängigen Ärzte und Pflegekräfte entlassen. Neues medizinisches Personal wird nicht mehr eingestellt.
Allein in Valencia versammeln sich im Juli 2013 mehr als 16.000 Krankenpfleger, die sich auf 500 Plätze im öffentlichen Dienst bewerben. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 3,1%.
Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des spanischen Fernsehens tve sind mittlerweile 80% aller Jugendlichen bereit, unabhängig von der Bezahlung und dem Arbeitsort, jede Art von Beschäftigung anzunehmen. Durch diese Perspektivlosigkeit ist die Bereitschaft gestiegen, in die europäischen Mitgliedstaaten, insbesondere nach Deutschland auszuwandern: bis Mai 2013 sind es fast 30.000 Menschen, darunter medizinisches Personal, das eine langfristige Perspektive in deutschen Krankenhäusern sucht. Da sich im Jahr 2016 kein gegenteiliger Trend abzeichnet, bleibt das medizinische Personal in Deutschland.
Deutschland ist wegen seiner Erwerbslosenquote von 5,6% ein attraktives Ziel und Beschäftigungsmagnet für spanische Fachkräfte. Im Jahr 2008, nach dem Platzen der Immobilienblase, verlieren mehr als 30% der Fachkräfte im Baugewerbe ihren Arbeitsplatz. Die von der EU geforderte Ausgabenkürzung im öffentlichen Bereich verschärft zusätzlich die Situation auf dem Arbeitsmarkt und führt zu einer Erwerbslosigkeit von über 27% und im Gesundheitssektor von mehr als 35%. Pflegepersonal wird entlassen und freigewordene Stellen kaum durch neue Ärzte und Pflegekräfte besetzt. Besonders stark betroffen sind erwerbsfähige Personen über 50 und unter 25 Jahren, bei denen die Erwerbslosenquote auf über 50% ansteigt. Bei den Jugendlichen erreicht sie im Januar 2014 den Höchststand von nahezu 57%.
Auch wenn das medizinische Personal akademisch gebildet ist und teilweise über zwei abgeschlossene Studiengänge verfügt, erhält es keine Erwerbsarbeit. Die Pflegekräfte aus Spanien haben eine herausragende Position bei der Neueinstellung von Pflegekräften aus dem Ausland, denn 60% aller ausländischen Pflegekräfte kommen aus Spanien. Jedoch reicht ihre Anwerbung allein nicht aus: Nicht nur durch den demographischen Wandel, sondern auch durch den Neubau von Pflegeeinrichtungen und medizinischen Abteilungen entsteht ein zusätzlicher Personalbedarf.
Die Anzahl an Absolventen in den Pflegeberufen bleibt aber seit Jahren gleich. Mittlerweile müssen Investitionen in den Neubau von Pflegeeinrichtungen zurückgestellt werden, da das medizinische Personal fehlt.
Hierin liegt die Herausforderung in der medizinischen Versorgung der Zukunft: die Vermittlung von Pflegekräften und die Rekrutierung von qualifiziertem Pflege- und medizinischem Personal, um Investitionen im Gesundheitsbereich sichern zu können. Bei einem zusätzlichen Personalbedarf und gleichbleibender Anzahl an Absolventen in den Pflegeberufen, entsteht ein jährlicher Fehlbedarf von mehr als 1.000 Pflegekräften. In den nächsten Jahren dürfte dieser Fehlbedarf exponentiell steigen.